"Grundlegendes Ziel muss es doch sein, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen zu unterstützen"


Werpflegtwie hat sich wieder umgehört. Diesmal im Interview: Karl-Josef Laumann (CDU), Staatssekretär, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigter für Pflege


Werpflegtwie: Herr Laumann, Sie sind seit 2014 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigter für Pflege. Womit befassen Sie sich pflegepolitisch derzeit konkret?

Laumann; „Nachdem zu Beginn dieses Jahres bereits das Pflegestärkungsgesetz I in Kraft getreten ist, befindet sich gerade das Pflegestärkungsgesetz II auf der Zielgeraden. Damit wird die Pflegeversicherung in Deutschland eine vollkommen neue, gerechtere Systematik bekommen. Gerade Menschen mit einer Demenzerkrankung werden davon deutlich profitieren. Darüber hinaus ist es mir ein ganz besonderes Anliegen mitzuhelfen, dass wir auch in Zukunft genügend Pflegekräfte in unserem Land haben. Darum spreche ich mich u. a. für die Modernisierung der Pflegeausbildung im Sinne der Generalistik aus. Und: Ich treibe die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation voran. Denn unsere Pflegekräfte wollen ernst genommen werden und die Pflegebedürftigen versorgen und betreuen, anstatt sinnlos Kästchen auszufüllen.“
 
Werpflegtwie: Die CDU betont immer wieder, dass die Familie als pflegende Instanz von tragender Bedeutung sei und daher verstärkt zu fördern wäre. Verschließt man hier die Augen vor der Tatsache, dass es nahezu flächendeckend an Plätzen in stationären Pflegeeinrichtungen fehlt?

Laumann: „Nein, überhaupt nicht. Das ist im Übrigen auch nicht der Fall. Es gibt große regionale Unterschiede. Zudem ist es doch so: Rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden ambulant versorgt und betreut, 30 Prozent stationär. Das liegt einfach auch daran, dass es der Wunsch der allermeisten Pflegebedürftigen ist, so lange wie möglich zuhause wohnen bleiben zu können. Ich finde, das kann man auch sehr gut nachvollziehen. Und grundlegendes Ziel muss es doch sein, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen zu unterstützen. Darum stärken wir die ambulante Pflege – etwa durch die Verdoppelung der Mittel für die Tagespflege. Aber wir stärken genauso die stationäre Pflege – z. B. durch die Erhöhung der Leistungsbeträge und die Aufstockung der zusätzlichen Betreuungskräfte von rund 25.000 auf bis zu 45.000.“
 
Werpflegtwie: Die großen privaten Träger stationärer Pflegeeinrichtungen haben einen deutlichen Ausbau ihrer Infrastrukturen angekündigt, weil die Nachfrage offensichtlich besteht. Widerspricht die marktwirtschaftliche Eigendynamik dem Kurs der CDU und ihrem Fokus auf „Pflege zu Hause“ also? Wie sieht Ihrer Meinung nach eine ideale Kombinationslösung aus?

Laumann: „Der Ausbau ist alleine schon deshalb nötig, weil die Zahl der Pflegebedürftigen in Zukunft deutlich steigen wird und darum auch mehr Plätze in den stationären Pflegeeinrichtungen benötigt werden. Denken Sie in diesem Zusammenhang nur an die Generation der sogenannten Baby-Boomer. Allerdings bleiben ältere Menschen heutzutage länger fit und benötigen immer später die Vollversorgung in einer stationären Einrichtung. Darum noch einmal: Uns geht es darum, den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen so gut wie möglich entsprechen zu können. Darum setze ich mich auch für eine möglichst vielfältige Angebotslandschaft in der Pflege ein. Die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass es richtig war und ist, den freien Wettbewerb verschiedener Pflegeleistungsanbieter zuzulassen. Dieser und nicht etwa eine staatliche Planung sorgt hier für die beste Bedarfsdeckung. Ich persönlich glaube übrigens, dass vor allem der Ausbau der teilstationären Pflege, also der Tages- und Nachtpflege, eine immer größere Bedeutung bekommen wird.“

Werpflegtwie: Die Pflege durch An- und Zugehörige blickt auf eine lange Tradition zurück. Verstärkt wird die Kritik laut, dass unser „moderner“ Lebensstil diese Form der Pflege mehr und mehr erschwert, gar unmöglich macht. Welchen strukturellen Herausforderungen steht diese Pflegeform heutzutage genau gegenüber und wie versucht man, diese Spannungsfelder politisch zu lösen?

Laumann: „Zwei Entwicklungen sind hier meines Erachtens von besonderer Bedeutung: erstens der Fachkräftemangel in der Pflege und zweitens natürlich, dass viel mehr Frauen heute erwerbstätig sind. Pflege wird aber in aller Regel von Frauen geleistet. Umso mehr müssen wir pflegende Angehörige weiter entlasten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter gewährleistet bleibt. Darum haben wir beispielsweise neben der Erhöhung der Mittel für Tagespflege auch die Möglichkeit geschaffen, Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibler in Anspruch nehmen zu können. Außerdem können Pflegebedürftige nun erheblich mehr Geld aus der Pflegeversicherung für die sogenannten Betreuungs- und Entlastungsangebote verwenden. Das sind zum Beispiel Haushaltshilfen oder Leute, die mit den Pflegebedürftigen spazieren gehen oder ihnen vorlesen. Weiterhin haben wir die Zuschüsse für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, etwa den Umbau zum barrierefreien Bad, erhöht. Und mit der Pflegezeit und der Familienpflegezeit haben wir die Möglichkeit geschaffen, sich eine Zeit lang ganz oder teilweise vom Job freistellen zu lassen bzw. die Arbeitszeit reduzieren zu können.“
 
Werpflegtwie: Worin liegen Ihrer Meinung nach die Stärken der deutschen Pflegebranche? Und von welchen Ländern können wir diesbezüglich noch etwas [Und was?] dazu lernen?

Laumann: „Die Stärke der deutschen Pflege liegt schon heute in ihrer Vielfalt an Angeboten. Mit der Schaffung der gesetzlichen Pflegeversicherung haben wir dafür vor 20 Jahren eine sehr gute Basis geschaffen. Es gibt einen klaren gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sich durch den Wettbewerb der verschiedenen Anbieter immer wieder neue, kreative Angebote entwickeln. Pflege ist heute nicht mehr wie früher zumeist Angelegenheit der Kirchen, sondern wird durch einen breiten privaten Markt sichergestellt. Das unterscheidet uns von anderen Ländern. Bei den Arbeitsbedingungen und dem Personalschlüssel in Pflegeeinrichtungen brauchen wir allerdings noch weitere Verbesserungen. Beispielsweise gibt es in den Niederlanden oder Skandinavien interessante Arbeitszeitmodelle, an denen sich auch deutsche Einrichtungsträger orientieren könnten.“
 
Werpflegtwie: Denken wir in die Zukunft. Welche Form des Wohnens und ggf. der Pflege wünschen Sie sich für Ihr späteres Ich?

Laumann: „Ich selber wünsche mir auch wie der Großteil der Menschen in unserem Land, dass ich möglichst selbstbestimmt so lange wie möglich zuhause wohnen bleiben kann. Doch gefühlt liegt das für mich noch ein gutes Stück weit weg. Und es ist doch immer auch ein gutes Stück weit Spekulation, was wie wo passieren kann. Aber ich bin mir sicher: Ich habe den Rückhalt der Familie. Und ich weiß, dass es in unserem Land gute Pflegeangebote gibt.“



Foto: Holger Groß
 
Werpflegtwie bedankt sich für dieses Interview und die Einblicke in die aktuelle Pflegepolitik. Das Interview führte Carolin Makus. 

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Im Interview mit Dr. rer. cur. Markus Mai, Vorsitzender des Gründungsausschusses der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz

Im Interview mit Pia Zimmermann - Pflegepolitische Sprecherin (MdB/Die Linke)


Titelfoto: Flickr/ Roland O'Daniel (CC-Lizenz BY-SA 2.0)


 

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