Was prägt unsere Welt in 30 Jahren?
„Concept Car“ oder auch „Konzeptfahrzeug“ ist ein Begriff aus der Automobilindustrie, der ein Vorgehen zur Erzeugung von Innovationen beschreibt.
Dabei wird ein neues Design, eine Funktion oder ein ganz neues Produkt entwickelt - ohne zu wissen, ob das Ergebnis am Ende angenommen wird oder funktioniert. Tatsächlich werden die meisten Konzepte wieder verworfen und erreichen nie Serienstatus. Doch auch diejenigen Werke, die sich nicht durchsetzten, nützen, um zu lernen und um neue Ideen zu produzieren.
Das Ziel vom „Concept Car der Pflege“ war, in einer Designwerkstatt, neue Produkte und Dienstleistungen für die anstehenden Herausforderungen des Pflegesektors zu entwerfen.
Die neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Pflege, der Industrie, der Kommunikation, der Wissenschaft etc., um möglichst viele verschiedene Perspektiven mit einzubeziehen.
Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst, legten die Grundlage für die Designwerkstatt, indem wir die Rahmenbedingungen der nächsten 15 Jahre benannten und daraus Top-Trends ableiteten. Drei Fragen gab Stephan Ehret, erfahrener Prozessberater und Moderator des Workshops, mit auf den gedanklichen Weg:
„An welchen Stellen, kann man die extreme Verknappung bestimmter Ressourcen in Relation zur explodierenden Weltbevölkerung als Chance begreifen?“
„Welche Technologien werden wirklich Einfluss nehmen?“
„Was werden wir uns in Zukunft wirtschaftlich leisten können und wollen?“
In den drei Arbeits-Gruppen, wurden überraschend (oder nicht überraschend?) ähnlich bis gleich lautende Trends identifiziert:
- Demographischer Wandel; Überalterung der Gesellschaft und damit neues Bild des Alters und „der Alten“
- Neudefinition „Gemeinschaft“
- Wandel der Lebenskultur z.B. bezüglich der Kommunikation und des Umgangs miteinander
- Thema „Sterben und Tod“; Selbstbestimmte Lebensdauer?
- Diversifizierung der Lebensstile
- „Die Cloud“, im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Kontrolle
- Gesellschaftliche Akzeptanz von dementen Menschen
- Pflege nicht nur auf professionelle Kräfte beschränkt; alle pflegen alle
- Online Vernetzung durch soziale Netzwerke über alle Altersgruppen und für alle Zwecke
- Einfluss der Web 3.0 Technologie auf die Pflege von Menschen; Gesundheitsüberwachung
Bevor es in die Designwerkstatt ging, gab Stephan Ehret noch einen Überblick an Strategien und Methoden mit Hilfe derer Innovationen entwickelt werden – wie u. a. Blue Ocean.
INNOVATION
- bedeutet eine Neuerung, die sich auch durchsetzt.
- es gibt Produkt- und Serviceinnovation, Verfahrens- und Prozessinnovation, Management- und Organisationsinnovation, Geschäftsmodell-Innovation, Design-Innovation und soziale Innovationen
- Beispiele: Essen in Dosen, Die Viererkette beim Fußball, Smartphones…
- Da es häufig Fehleinschätzungen gibt, was die Zukunft und das Verhalten der Menschen in der Zukunft betrifft, weiß man bei einer Neuerung am Anfang nie, ob sie sich durchsetzten und somit innovativ sein wird. Daher empfiehlt es sich, eher schnell Prototypen zu entwickeln, um sie am Markt zu testen.
BLUE OCEAN - DAS 4 AKTIONEN-MODELL
Das Konzept der „Blue Ocean Strategy“ wurde von W. Chan Kim und Renée Mauborgne an der INSEAD Business School entwickelt und dort zunächst als Value Innovation bezeichnet. Basierend auf empirischen Studien über eine Dauer von 15 Jahren konnten anhand der Analyse von mehr als 100 führenden Unternehmen Beispiele von Unternehmen gefunden werden, die neue, bis dahin ungenutzte Teilmärkte erschlossen und somit den bisherigen Wettbewerb irrelevant werden ließen.
Der Begriff „Ozean“ beschreibt im Zusammenhang mit der Blue Ocean Strategy einen Markt oder Industriezweig. "Blaue Ozeane" (Blue Oceans) werden als unberührte Märkte oder Industriezweige verstanden, die wenig bis gar keinen Wettbewerb aufweisen. Derjenige, der in den Blauen Ozean eintauchen würde, würde somit unentdeckte Märkte oder Industriezweige auffinden. "Rote Ozeane" (Red Oceans) hingegen bezeichnen gesättigte Märkte, charakterisiert durch harte Konkurrenz, überfüllt mit Mitbewerbern, welche alle den gleichen Service oder die gleichen Produkte anbieten.
(Vergleichen und Weiterlesen auf Wikipedia)
Berühmte erfolgreiche „Schwimmer“ in blauen Ozeanen sind Apple, Nintendo Wii oder Nespresso. Um eine solche Neuerung zu kreieren, gilt es bekannte Produkte oder Vorgänge in die Einzelteile zu zerlegen und jedes Element zu prüfen:
- was kann eliminiert werden?
- was kann reduziert werden?
- welches Element kann erhöht werden?
- was kann geschaffen werden?
ZUR DESIGNWERKSTATT
In den drei Arbeitsgruppen kristallisierten sich vier Ideen heraus, die wir, so weit an einem Nachmittag möglich, diskutiert und bearbeitet haben.
Idee 1 „My Cloud“ – Digitale Kultur-Innovation
Ich bin die Cloud; in der Cloud ist alles über mich; die Cloud ist mein digitaler Lebensstil; Inhalte: Fakten, Statusdaten, medizinische Daten, Vorlieben und Bedrüfnisse, Bankdaten, Vitalwerte -> Die Cloud wird dadurch zu einer Art Concierge, der Info-Point und Berater in allen Lebenslagen „was möchten Sie wissen?“, „was brauchen Sie?“ -> Schnittstelle zu Kommunikation (mit Pflegekräften und Angehörigen und in Soziale Netzwerke und Communitys
Idee 2 „Verschmelzung von ambulanter und stationärer Pflege“ - Strukturinnovation
Die Begriffe und damit verbundenen Unterschiede verschwinden aus dem Versicherungswesen ebenso wie aus den Angeboten der Träger. So muss nicht aus finanzieller Perspektive für das eine oder andere entscheiden werden und die Vorteile aller Angebotsformen können modular und nach Bedarf kombiniert werden. Unabhängig vom Lebensort (Wohnung, Pflegeheim) gibt es nur eine Finanzierungs- und Versorgungsform. Wegfall unnötiger Verwaltung-, Bürokratieaufwände und -kosten.
Idee 3 „Emotionaler Begleiter“
Neue 1-jährige Ausbildung mit dem Ziel dementiell veränderte Menschen so umfassend zu begleiten, dass sie solange wir möglich zu Hause selbstbestimmt leben können. Die Ausbildung richtet sich insbesondere an emotional und menschlich sichere und gleichzeitig einfühlsame Personen, die sich zum Beispiel eine sehr kleine Rente haben, noch einen anderen künstlerischen Beruf haben oder sonst schwierig - zum Beispiel in eine sehr hektische Firma, die auf Gewinne ausgerichtet ist - zu integrieren sind. Das Ziel ist, dass die Emotionalen Begleiter nur 5-6 Stunden am Tag arbeiten müssen, also ca. drei Personen für zwei Stunden begleiten und volles Gehalt bekommen, von dem man leben kann. Somit haben sie noch ausreichend Kapazitäten z.B. kreativ tätig zu sein oder in der Kita auszuhelfen ;) In der Ausbildung werden medizinisch, pflegerische Grundlagen vermittelt, ebenso wie Grundlagen in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie. Weitere Inhalte sind Sozialarbeit, Kulturarbeit, Sport…das heißt: „Was kann ich mit den Menschen unternehmen?“. Hier wird gelehrt, dass allem Tun eine umfassende Biografiearbeit vorausgeht: „Was hat der Mensch früher gerne gemacht?“ Der letzte Baustein ist der Umgang mit Behörden und Ämtern: „Welche Formulare gibt es?“ und das Erlernen des für den demenziell Erkrankten wichtigen Netzwerks: Wen beziehe ich in welchem Fall mit ein? Angehörige, Ärzte, Pflegedienst etc.
Idee 4 „MyAngehörige.de“ - Sozialinnovation
Die Pflege entwickelt sich in zwei Richtungen
-> Institutionalisierung Hospiz
-> Gemeinwohl Wohnen
Bedeutet: Wohngemeinschaft wird größter Sozialpartner; Wohnung wird bereitgestellt für a) Fläche zum Leben + b) Soziales Engagement. Die Miete besteht dementsprechend aus einer Raummiete und einem Beitrag für Sozialleitungen, der gezahlt (z.B. 1 Euro pro Quadratmeter) und durch persönlichen Einsatz erbracht werden kann.
Es ist erstaunlich wie viele kreative Ideen mit ersten Lösungswegen in so kurzer Zeit entstehen können, wenn ein entsprechender Rahmen in einem interdisziplinären Kreis von Experten gegeben ist. Ich bedanke mich im Namen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei Tanja Ehret und Stephan Ehret, die uns diesen Rahmen gegönnt haben. Das war für mich ein absoluter Luxus!
Wir sind gespannt, wie und wann wir an den Ideen weiterdenken - ob gemeinsam oder in anderen Zusammenhängen. Und welche dieser Ansätze sich in 30 Jahren so oder so ähnlich als echte Innovationen durchgesetzt haben werden.
The great attendees
Dr. Stefan Arend, Kuratorium Wohnen im Alter (KWA), Unterhaching
Bernd Bogert, St. Gereon Seniorendienste, Hückelhoven
Uwe Deckert, wissner-bosserhoff GmbH, Wickede (Ruhr)
Sabine Distler ALWO-Gruppe, Nürnberg
Tanja Ehret, CareTRIALOG, Hamburg
Manfred Heider, amedus development GmbH / Glücksmomente stiften e.V., Düsseldorf
Bernadette Höller, werpflegtwie GmbH, Berlin
Dr. med. Olaf Lochschmidt, Lundbeck GmbH, Hamburg
Prof. Dr. Anja Lüthy, FH Brandenburg / TCO, Berlin
Wenn Sie in einem Kreativ-Workshop, unter professioneller Anleitung, individuelle Innovationen mit Ihren Mitarbeitern erarbeiten wollen, dann schreiben Sie an Tanja Ehret von CareTRIALOG tanja.ehret@caretrialog.de.
Text: Bernadette Höller
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