Elsbeth Rütten baut Brücken für die Pflege


Elsbeth Rütten, Gründerin des Vereins "Ambulante Versorgungsbrücken e. V." hat sich zur Aufgabe gemacht Schritt für Schritt die Systemlücken der ambulanten Versorgung zu schließen. Heute erzählt Sie uns im Interview, was es damit auf sich hat.

Werpflegtwie: Sie haben 2009 den Verein „Ambulante Versorgungsbrücken e.V.“ gegründet. Mittlerweile heißt dieser „Ambulante Versorgungsbrücken e.V.“ – Was veranlasste Sie zur Gründung des Vereins und was sind Ihre Ziele?

Rütten: Die Gründungsidee der Ambulanten Versorgungsbrücken: Die Rechte der Patienten bei der Überleitung vom Krankenhaus nach Hause, in die Kurzzeitpflege oder in die Zeit der Genesung nach einem ambulanten Eingriff zu verbessern. Eine persönliche Erfahrung hatte 2005 dazu geführt, die poststationäre „Versorgungslücke“ während der Genesungsphase zu entdecken.

Die Änderung des Namens wurde erforderlich, weil der Verein seit 2010 immer öfter von Rat- und Hilfesuchenden schriftlich und telefonisch um Rat gefragt wurde, wenn die ambulante Versorgung nach einem Krankenhausaufenthalt geregelt werden sollte. Wir halfen die erforderlichen Brücken in die Genesung  zu bauen – als Hilfe zur Selbsthilfe, um „Gut vorbereitet – aktiv zu genesen“.

Werpflegtwie: Was verbindet Sie mit dem Thema Pflegebedürftigkeit bzw. Versorgungslücken/ Versorgungsbrücken?  
                  

Rütten: Eklatante „Lücken“ in der poststationären und ambulanten Nachsorge, die seit 2004 dazu beitrugen, dass Patienten, die nicht den Kriterien der Pflegestufen entsprachen, also „nur“ vorübergehend pflegerische und / oder hauswirtschaftliche Versorgung benötigen am System abrutschten. Besonders für Alleinlebende war dies eine wesentliche Problematik. Der Gesetzgeber hat inzwischen in den Paragrafen 37, 38 und 39 (SGB V)  die befristete Unterstützung sichergestellt. Die Finanzierung durch die GKV stellt sicher, dass die Überleitungspflege und auch die Kurzzeitpflege kompetent, fachlich und sachlich (mindestens 4 Wochen)  geregelt ist. Der Bereich der Überleitungspflege ist damit um einige dringend notwendige Versorgungsbrücken reicher geworden.  

Werpflegtwie: 2016 ist ein wichtiges Jahr für die Pflege, da einige Neuerungen in Kraft treten. Was ändert sich aufseiten der Überleitungspflege, also hinsichtlich der „Versorgungsbrücken“?

Rütten: Die Überleitungspflege wurde zum 1. Januar 2016 im neuen § 37 Abs. 1a SGB V geregelt, und zwar dahin gehend, dass Versicherte an geeigneten Orten wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erhalten – soweit keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB XI vorliegt. Ein gleichzeitiger Bedarf an medizinischer Behandlungspflege ist in diesem Fall ausnahmsweise nicht erforderlich. Der Anspruch besteht für bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. Er kann von der Krankenkasse in begründeten Ausnahmefällen nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes auch verlängert werden. 

Werpflegtwie: Sie haben Ihr Vereinsbüro in Bremen. Wie ist Ihre Vereinsarbeit organisiert? Suchen die Ratsuchenden Sie persönlich auf oder sind Sie vor allem online/ telefonisch aktiv?

Rütten: Unsere Geschäftsstelle ist  Montag bis Freitag von 9.00 Uhr  -  13.00 Uhr geöffnet. Persönliche Termine werden individuell vereinbart.  Wenn die Ratsuchenden in Bremen wohnen, ist ein Hausbesuch möglich, wenn es die Situation erfordert. Allerdings erreicht uns der überwiegende Teil der Anfragen entweder telefonisch oder per E-Mail.

Werpflegtwie: Was sind die klassischen Fragen oder Probleme, mit denen die Leute zu Ihnen kommen?

Rütten: Die Hälfte der Anfragen dreht sich tatsächlich um die zuvor definierten „Versorgungslücken“. Oftmals ist ein Unfall oder aber eine akute Erkrankung der erste Anlass, um sich mit dem Verein in Verbindung zu setzen. Manchmal wird ein kurzfristiger Aufenthalt im Krankenhaus überschätzt und die Genesungsphase zuhause unterschätzt, die es dann zu organisieren gilt. Das Team der Ambulanten Versorgungsbrücken wird immer öfter als Lotse im Prozess des Älterwerdens eingesetzt, sei es, um ambulante Hilfen zu organisieren oder aber, wenn es darum geht,  Menschen mit neuen Formen und Schritten einer nachhaltigen Gesundheitsförderung vertraut zu machen. Wie bereitet man sich auf das Älterwerden vor?
Was ist zu tun, wenn die Eltern langsam älter werden und Hilfe benötigen? Wie kommt man zu einer barrierefreien Wohnung? Wie lässt sich der Prozess des Rollentausches positiv und konstruktiv gestalten? Welche Ansprüche und Leistungen sind mitzudenken, wenn es um Hilfsmittel oder Kassenleistungen geht?

Hinzu kommt das Projekt Wohlfühltelefon, wir rufen verlässlich, als Alltagsbegleiter Menschen an, die gerne über den Tellerrand hinausschauen und sich unterhalten möchten.  Aber auch unsere Schulung im Umgang mit Smartphone und Tablet unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung und der sozialen Vernetzung sind sehr gefragt. „Silbern im Netz“ unterwegs sein, findet immer mehr Interesse. Dies merken wir auch im Cafe WLan, das wir einmal wöchentlich anbieten.

Werpflegtwie: Der Verein existiert mittlerweile um die sieben Jahre. Was waren bisher die wichtigsten Meilensteine in dieser Zeit und was steht in absehbarer Zukunft auf dem Plan?

Rütten: Es gab einige sehr berührende Erfahrungen. Die Einführung der Überleitungs- und Kurzzeitpflege als Kassenleistung gehört unbedingt dazu. Der Erfolg der Petition und die dazu gehörenden politischen Schritte.  Aber auch der Dialog der Generationen – Das Gespräch mit den jungen und älteren Menschen, die hier ein- und ausgehen, die von- und miteinander lernen. Hinzu kommen der Prozess der Gesetzesänderung, die vielen kleinen Schritte und die Unterstützung, die unser Verein im Zuge der Entwicklung erlebte. Der erste Höhepunkt war 2012, als die erste Gesetzesänderung im Bereich der hauswirtschaftlichen Hilfen erfolgte. Die Möglichkeiten und Chancen, die das Älterwerden als nachhaltigen Prozess begreifen.
Die Arbeit mit unserem Team an Ehrenamtlichen und den festen Mitarbeitern, die ihr soziales Engagement in die Arbeit einbringen.

Die Vereinsarbeit  ist stets eine Teamleistung, die den Prozess fruchtbar werden lässt. Auch die bisher gewonnenen Preise sind nur als Mannschaftsleistung  zu verstehen und zu verwirklichen.  Dankbar bin ich für all die Dinge, die ich von älteren und jungen Menschen lernen durfte. Für die Zukunft stehen weiterhin die Prävention, die Mündigkeit  als Patient, der Ausbau zum Seniorenbüro, die Wohlfühlanrufe, der Dialog der Generationen  und die digitale Gesundheitsförderung auf der Agenda. Diese Themen werden immer wichtiger und werden uns gewiss noch lange begleiten. 
 
 Werpflegtwie: Worin sehen Sie die Stärken des deutschen Pflegesystems?

Rütten: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gehört in unserer Gesellschaft des längeren Lebens das deutsche Pflegesystem zu jenen Gesundheitsstrukturen in Europa, die einerseits einen hohen Organisationsgrad vorweisen können – und parallel dazu über eine relativ gute finanzielle Ausstattung verfügen. Die Gewährung von Leistungen ist nicht vom Einkommen abhängig. Hinzu kommt ein Rechtsanspruch auf Leistungsgewährung. Die Leistungsanbieter können frei gewählt werden. Mit diesen Eckdaten assoziiere ich Stärken, in unserem Gesundheits-, bzw. Pflegewesen. Hinzu kommen weitere Änderungen im Pflegestärkungsgesetz und die Änderungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz.  

Die Pflege älterer Menschen ist ein zentrales Zukunftsthema. Den gesetzlichen Anspruch „ambulant vor stationär“  gilt es, bedürfnisorientiert zu gewährleisten und mit Leben zu füllen. Dazu gehören sowohl die Qualitätssicherung als auch die Koordination und Vernetzung von Pflege, Gesundheits- und Sozialbereich. Dazu gehören der Ausbau der interkulturellen Pflege, die neu einzuführenden Pflegegrade, das 2. Pflegestärkungsgesetz, die generalistische Pflegeausbildung und der unbedingt zu fördernde neue Blick auf den Zustand der Demenz. Spannende „Baustellen“ und Stärken. Gleichwohl, manche Länder in Europa verfügen über einen ähnlichen Standard wie wir oder aber sie sind in ihrer Entwicklung sogar schon weiter als wir Deutschen. 

Werpflegtwie: Wenn Sie sich drei Dinge für Ihren Verein wünschen könnten, was wäre das?

Rütten:

  1. Dass der Verein Ambulante Versorgungsbrücken e. V. weiterhin durch inhaltliche kompetente Arbeit überzeugt und uns die zukunftsorientierten Ideen nicht ausgehen werden.
  2. Menschen, die sich weiterhin vertrauensvoll an uns wenden und sich von unserer Kompetenz begleitet wissen.
  3. Eine stets solide wirtschaftliche Situation, in der der Verein verbindlich gedeihen kann und wir im Gleichklang von Kompetenz,  Fort- und Weiterbildung und guter Arbeit überzeugen. Wir noch viele Menschen begeistern können, die dann entweder Mitglieder werden oder aber uns mit Spenden unterstützen.


Foto: Elsbeth Rütten

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Titelfoto: Flickr/ Martin Pettitt (CC-Lizenz BY 2.0)

Das Interview führte Carolin Makus.
 

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