Wenn die Tochter mit zur Arbeit kommt: Bei der WGfS lassen sich Pflegejob und Mutterglück vereinen

Wenn die Tochter mit zur Arbeit kommt

„Maya, aufstehen wir müssen los“, ruft Agnes Brzozowska durch die Wohnung. Die Siebenjährige antwortet mit einem gedehnten „Ja“ und steht fünf Minuten später fertig angezogen vor der Haustür. Es kann los gehen – zur Arbeit.

Seit sechs Jahren arbeitet Brzozowska bei der WGfS (Wohngemeinschaft für Senioren) in Filderstadt. Genauso lange ist Maya mit dabei. Nicht jeden Tag, aber regelmäßig. „Wenn ich Spätdienst habe, bringt mein Mann die Kleine um 17 Uhr“, erzählt die junge Mutter. Kurz bevor er selbst zur Arbeit muss, denn Brzozowskas Mann arbeitet nachts. Dann bleiben Mutter und Tochter bis 20 Uhr im Pflegeheim bevor sie zusammen nach Hause fahren. „Maya hilft beim Essen vorbereiten, spielt mit den Senioren Mensch-ärgere-dich-nicht oder hilft beim Blumengießen“, so die Fachkraft. Kollegen und Bewohner haben sich längst an das Kind gewöhnt und freuen sich, über die kleine Helferin. Brzozowska: „Mayas Bild hängt sogar an unserer Mitarbeiter-Tafel.“

„Die Familie gehört dazu“, weiß WGfS-Inhaberin Rosemarie Amos-Ziegler, die vor 30 Jahren zunächst einen ambulanten Pflegedienst und drei Jahre später auf Wunsch ihrer Klienten die erste sechsköpfige Wohngemeinschaft für Senioren in Filderstadt gegründet hat. Heute umsorgen 230 Mitarbeiter 147 Bewohner in drei Häusern und einer Demenz-WG. Rund die Hälfte des Personals hat Kinder. 57 davon im Betreuungsalter. „Für mich war es immer selbstverständlich, dass meine Kinder nach der Schule zu mir in die Wohngruppe kommen“, erzählt die 58-Jährige, „ich sehe keinen Grund, warum wir es heute anders machen sollten.“

Als familiengeführtes Unternehmen setzen sich die Filderstädter deshalb für Familienfreundlichkeit ein. So fiel dem Führungsteam beispielsweise auf, dass besonders der Beginn der Frühschicht um 6:15 Uhr zu Engpässen führt. In den meisten Kindertagesstätten ist es zu dieser frühen Stunde noch dunkel. „Deshalb haben wir Dienste kreiert, die mit den Kita-Öffnungszeiten übereinstimmen“, erzählt die Geschäftsführerin. Wer Kinder oder andere Angehörige versorgt, kommt erst zwischen 7:30 Uhr und 8 Uhr. Eine zweite Fachkraft pro Schicht sorgt dafür, dass auf der Station solange alles funktioniert.

Neben flexiblen Arbeitszeiten und Wunschdienstplänen, gibt es zudem Betreuungszuschüsse, verschiedene Teilzeitvarianten und Kooperationen mit örtlichen Kindergärten. Findet sich niemand, der den Nachwuchs versorgt, können Fachkräfte ihre Kinder mit auf die Station bringen – wie Brzozowska. Für Verwaltungsangestellte gibt es spezielle Eltern-Kind-Arbeitsplätze und die Möglichkeit im Home Office zu arbeiten. So schallt auch das Lachen von Amos-Zieglers Enkelin Fiona, Tochter der ebenfalls geschäftsführenden Schwiegertochter Malvine Amos, regelmäßig durchs Büro. „Eltern, die ihre Kinder gut behütet wissen, arbeiten motivierter“, begründet Amos-Ziegler ihr Engagement.

Eine Studie des FFP Münsters untermauert die These der Baden-Württembergerin. Laut Erhebung verzeichnen familienbewusste Unternehmen 42 Prozent weniger Fehlzeiten als Konkurrenten. Produktivität, Anzahl und Qualität der Bewerbungen steigen jeweils um ein Drittel. „Anschubinvestitionen amortisieren sich innerhalb von ein bis zwei Jahren“, berichtet Amos-Ziegler. Weil sich Mitarbeiter gehört und unterstützt fühlen, sinkt die Fluktuation. Personaler schätzen, dass pro offener Stelle etwa 10.000 Euro für Ausschreibung, Bewerbungsprozess und Einlernen anfallen. Familienfreundliche Unternehmen sparen bares Geld.

Für Pflegekraft Agnes Brzozowska ist das Arrangement ein Glücksfall. „Ich bin sehr früh Mutter geworden und hatte Angst, aufgrund der Betreuung keine Ausbildung machen zu können“, erzählt die 23-Jährige. Ein Praktikum überzeugte sie damals vom Gegenteil. „Ich beschloss es einfach zu probieren und Maya – immer wenn es nicht anders geht – mitzubringen.“ Inzwischen ist das vier Jahre her und die motivierte Pflegerin hab 2016 sogar eine Fortbildung zur Praxisanleiterin für Auszubildende absolviert. Die Befürchtung, dass die Anwesenheit ihrer Tochter sie zu sehr von ihren Aufgaben ablenken könne, hat sich schon innerhalb der ersten Wochen verflüchtigt. „Im Gegenteil, ich bin beruhigt, weil ich jederzeit weiß, dass es meiner Kleinen gut geht“, freut sich die Mama.

Und das wichtigste – auch Maya fühlt sich pudelwohl wenn sie ihre betagten Freunde besucht. Die Grundschülerin kennt jeden Senior beim Namen. „Manchmal führt sie sogar neue Praktikanten durchs Haus und zeigt ihnen die Zimmer der Bewohner, erzählt was ihnen Spaß macht und wer zum Beispiel keine Butter mag“, schmunzelt Brzozowska. Das Maya selbst einmal Altenpflegerin werden will, weiß sie trotzdem.

Agnes Brzozowska betreut gemeinsam mit ihrer Tochter die BewohnerInnen der WGfS in Filderstadt

Text: Ronja Gysin
Foto: Ronja Gysin