Ambient Assisted Living (AAL)

 

Technik im Haus, am Haus und um das Haus herum

Ambient Assisted Living (AAL) ist ein sehr breit gefasster Begriff und meint im weiteren Sinne die technikgestützte Wohnumgebung eines Menschen. Im engeren Sinne meint es informationstechnische Systeme, die einen Menschen im Alltag dadurch unterstützen, dass sie für ihn auf Basis von Daten über die aktuelle Situation Entscheidungen übernehmen. Alternativ unterbreiten diese Systeme einer Person Handlungsvorschläge und fördern ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben im eigenen Heim. Grundlage hierfür sind die automatische Erkennung und Interpretation der aktuellen Situation. Durch diese automatische Bereitstellung von Informationen können andere Personen Entscheidungen für eine Person in Not übernehmen oder Handlungsvorschläge unterbreiten. Es handelt sich bei diesen Systemen also nicht ausschließlich um voll automatisierte Prozesse. So ist zwar das Erkennen von Situationen ein zentraler Bestandteil, jedoch treffen zum Teil (noch) auch Menschen die endgültigen Entscheidungen.


 

Smart Home, Smart Living und Co.

In einem weiteren Ansatz kann AAL als ein aus assistiven Geräten bestehendes Unterstützungssystem verstanden werden, das die physischen und sensorischen Fähigkeiten des „Betroffenen“ verstärkt. Dabei besteht die Abgrenzung zwischen AAL und assistiven Systemen darin, dass ein Teil der Intelligenz des AAL-Systems „vor Ort“ ist, wohingegen in normalen Systemen die Daten unbearbeitet weitergegeben werden. Das heißt, dass AAL-Geräte im Gegensatz zu normalen Systemen eine gewisse „(Eigen-)Intelligenz“ besitzen. Neben AAL sind ähnliche Begrifflichkeiten, wie z. B. „Smart Home“ bzw. „Smart Living“, oder „eLiving“ verbreitet.  Smart Home, zum Beispiel, wird in der Fachliteratur wie folgt beschrieben: Unter Smart Home wird ein Haus oder eine Wohnung mit intelligent vernetzten Anwendungen rund um Haushaltssteuerung, Kommunikation, Sicherheit, Pflege sowie Energie verstanden.
 

AAL und die soziale Teilhabe

Der AAL-Ansatz findet auch punktuelle Erweiterungen, so zum Beispiel im Thema der Vernetzung durch Technisierung des Alltags und deren Auswirkung auf Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe im Alter. Hier wird beispielsweise der Frage nachgegangen, inwiefern die (soziale) Vernetzung mittels neuer Kommunikationstechnologien durch die fortschreitende Technisierung vereinfacht werden kann. Dabei sind vor allem die positiven Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe und die empfundene Lebensqualität im Alter von Interesse. Denn die gesellschaftliche Teilhabe im Alter steht unter dem starken Einfluss sich wandelnder (familialer) Netzwerkstrukturen, welche vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen über wachsende Distanzen hinaus gepflegt werden müssen. Technikgestützte Kommunikation stellt einen wichtigen Schlüssel sozialer Teilhabe dar, denn die Aufrechterhaltung der Sozialkontakte wird hier als zentraler Indikator für gesellschaftliche Teilhabe gesehen. Wenn wir über AAL sprechen und über dessen Nutzung, interessiert vor allem der alters- bzw. generationssensitive Aspekt der Technikakzeptanz. Denn dieser lässt unmittelbare Rückschlüsse auf die Nutzung und somit auf die Auswirkungen auf das Sozial- und Alltagsleben zu.

 

Anforderungen an AAL-Produkte

Damit AAL-Produkte angenommen werden, sollten sie nicht nur einen gewissen Grad an Intelligenz vorweisen können, sondern auch weitere Anforderungen erfüllen: Kooperationsfähigkeit, Unaufdringlichkeit, Situationsangemessenheit, Sicherheit und Robustheit! Das technische Gerät soll also mit anderen Geräten kooperieren können, was nichtvernetzungsfähige, autonome Assistenzsysteme ausschließt. Es soll darüber hinaus mit seiner Umwelt verschmelzen, sich also dezent in die Umgebung integrieren oder zumindest nicht stören, ablenken oder gar behindern. Die genannten Anforderungen beziehen sich auf ein AAL-Produkt im engeren Sinne. Wird von einem erweiterten Produktbegriff ausgegangen, müssten weitere Anforderungen spezifiziert werden. So zum Beispiel die lückenlose Einbettung des technischen Gerätes in ein Service-Netzwerk.
 

Einen Überblick über AAL gibt z. B. die Universität Innsbruck mit diesem Video:


Ein kleiner Exkurs in die Wissenschaft: Theorien zur Technikakzeptanz 

Die Akzeptanz bzw. Verwendung hochentwickelter Technik hängt kaum von technischen Parametern ab. Vielmehr sind die Gründe für das Scheitern oder für den Erfolg eines technischen Produktes im sozialen, politischen und/oder kulturellen Kontext zu finden. Daher lohnt ein Blick in die Techniksoziologie. Dabei ist zu ergründen, inwiefern die Nutzung von Technik abhängig von sozialen Aspekten ist und welchen Einfluss kulturelle Gesichtspunkte hinsichtlich der Technikakzeptanz besitzen. Einfacher gesagt: Welche Rolle spielen Dinge wie Kulturkreis, Gewohnheiten, Persönlichkeit und Umgebung hinsichtlich der Nutzung von Technik?

Technik hat unseren heutigen Alltag bereits stark durchdrungen und ist (zumindest in unseren Breitengraden) eigentlich überall zu finden: Vom Kühlschrank, über die neue Auto-Generation, bis hin zu den immer ausgetüftelten Computern. Wirtschaftsingenieur und Techniksoziologe Roger Häußling schrieb 2010, es gäbe kaum mehr einen Lebensbereich, der völlig frei von Technik ist. Viele dieser Techniken seien so tief in unserem Alltag verwurzelt, dass gar nicht mehr bzw. nur noch mit Mühe ein Leben ohne sie geführt werden kann. Gestiegene Abhängigkeiten sind die eine Seite der Medaille, enorme Entlastungen des Alltags die andere, so Häußling. Das bezieht sich natürlich nicht auf die entlegenen Gegenden unserer Erde, wohl aber auf den Großteil der Nationen.

Die soziale Akzeptanz von technischen Gerätschaften ist abhängig von der funktionalen Veträglichkeit des jeweiligen technischen Systems mit Politik und Wirtschaft. Anders gesagt: Ein technisch innovatives Produkt muss den Zeitgeist kennen und seinen Moment abpassen, wenn es von der Masse akzeptiert und genutzt werden will. Entscheidend aber sind kulturelle Aneignungsprozesse, die diesen technischen/ digitalen Wandel tragen.

Blicken wir in die Fachliteratur, ist dort häufig von ganz bestimmten (technischen) „Aneignungstypen“ die Rede. Diese wurden maßgeblich mitgeprägt von der Soziologin Nina Degele. Sie vertritt die Meinung, dass sich bezüglich der Adaption neuer Technologien und Techniken drei Aneignungstypen unterscheiden lassen: (1) Technikfaszinierte Wellenreiter, (2) kommunikationsorientierte Skeptiker und (3) zeitjonglierende Spieler. Dabei ist erstgenannter Typ der Wegbereiter von Innovationen, der Technik instrumentalisieren will und für den bei Kommunikation die effiziente Übertragung von Information vordergründig ist. Zweitgenannter Typ dagegen ist eher technikfeindlich, will das Leben also entschleunigen und sich Zeit schaffen. Eine solche Technikabstinenz ist laut Degele mittlerweile jedoch unter starken Erklärungsdruck geraten. Für Letztgenannten ist Zeit, stärker noch als bei den ersten beiden, die zentrale Orientierungsgröße. Dabei dient sie weder als rein ökonomische Ressource, noch geht es um das ausschließlich sinnvolle bzw. selbstverwirklichungsorientierte Verbringen von Zeit.

Ein weiterer Zugang zur Techniksoziologie ist die sogenannte „realistische Techniksoziologie“, als Soziologie der Sachverhältnisse. Eine solche Techniksoziologie spricht einem technischen Produkt ein gewisses handlungsnormierendes Potential zu. Was soll das heißen? Nun. Technik ist dieser Annahme folgend eine äußere, den Handelnden gegenüberstehende soziale Struktur, wenn man so will. Eine soziale Struktur, die ganz im Sinne von Émile Durkheims Definition eines soziologischen
Tatbestandes zu bestimmtem Nutzerverhalten verleitet. Émile Durkheim war französischer Soziologe, Ethnologe und Pädagoge. Wir können also davon ausgehen, dass er so einiges von Interaktion und Wissensvermittlung verstand. Inhaltlich festgehalten werden kann hier: Allein das technische Design eines Produktes gibt eine bestimmte Verwendungsweise vor bzw. grenzt diese ein. - Eine weitere interessante Theorie von vielen….

 


Alter und Technik

Bisher wurden die Themen Alter und Technik in der Forschung kaum im Zusammenhang betrachtet. Es vernachlässigte die Technik-Soziologie das Thema Alter, während die Alterssoziologie der Technik im Leben Älterer zu wenig Beachtung schenkte. Daher müsste in Zukunft verstärkt der Forderung gefolgt werden, während der Forschung bei den Nutzern von AAL-Produkten selbst anzuknüpfen, so der allgemeine Grundton. Und tatsächlich wacht die Querschnittsforschung Alter(n) und Technik allmählich auf. Immer mehr Projekte und Initiativen nehmen Personen höheren Alters in den Blick, zum Zwecke wohl durchdachter Technikprodukte. Man kennt eben seine Abnehmer. Die Kaufkraft liegt bei den Personen, die nicht nur Geld sondern auch Zeit haben: Senioren.

Durch das immer stärker werdende Interesse an Technik, konnte sich in der Soziologie mittlerweile ein junger und aufstrebender Forschungszweig etablieren: Die Technik-Soziologie. Entsprechend begreift sie sich als eine neue Art von Soziologie. In diesem Zusammenhang spielt Vernetzung eine tragende Rolle. So entsteht moderne Technik als Zusammenspiel wechselseitiger Einflüsse und Abhängigkeiten innerhalb eines Netzwerkes von menschlichen und technischen Komponenten. Dabei sind nicht die einzelnen Komponenten bedeutsam, sondern vielmehr erst das Netzwerk ihrer Beziehungen. Vor dem Hintergrund dieser Deutung wird die Unterscheidung zwischen „technisch“ und „sozial“ weitestgehend aufgelöst, womit es zu einer Nivellierung zwischen Mensch und gestalteten Objekten kommt sowie zu einer weitreichenden Erweiterung des „Sozial“-Begriffes. Kurz gesagt: Die Übergänge zwischen Mensch und Maschine verwischen. Durch ihr Zusammenwirken entsteht etwas, das mehr ist, als die Summe beider. Beide nehmen Einfluss aufeinander und bedingen ihr Handeln bzw. Funktionieren gegenseitig.

Die Hauptaufgabe der Alterssoziologie bzw. der Technik-Soziologie der nächsten Jahre wird es sein, technische Lösungen zu entwickeln, die zwar die Bedürfnisse Älterer kennen und befriedigen, in ihrem Design und ihrer Bedienbarkeit aber nicht stigmatisieren. Auch ist das Alter allein nicht ausschlaggebender Indikator, sondern immer einer von vielen Faktoren. So können z. B. zwei 80-Jährige völlig verschiedene Bedürfnisse haben.Ebenso wird die viel zitierte Formulierung "50+" in keinem Falle den vielseitigen Altersgruppen gerecht, die sich hinter dieser Floskel befinden.

Gute technische Produkte schließen niemanden aus, sondern laden jeden zur Nutzung ein. Sollte absichtlich nur eine bestimme Zielgruppe angesprochen werden, täten die Entwickler des Produktes gut daran, diese Tatsche nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Dies war z. B. ein Kardinalfehler, von dem die Macher des Senioren-Telefons ein Lied singen können…

 

AAL: Länger zu Hause leben können

Bei guter Gesundheit zu altern und ein entsprechend hohes Alter zu erreichen, ist wohl ein klares gesellschaftliches Ziel. Medizinischer und technischer Fortschritt machen es möglich, dass dieser Wunsch immer öfter Erfüllung findet. Die Menschen werden oft älter, ebenso verbringen Sie mehr Jahre in Gesundheit, als noch vor einigen Jahrzehnten. Selbstbestimmt und autonom leben, möchte man in jungen genauso wie in älteren Jahren. Diese Behauptung lässt sich wohl in den Raum stellen. Das Statistische Bundesamt gibt dem Recht: Untersuchungen von 2011 verdeutlichen den hohen Stellenwert von selbstbestimmtem Leben in den eigenen vier Wänden im Alter. Demnach gehört der Verlust der Eigenständigkeit zu den Dingen, die im Alter sehr gefürchtet werden.

Als großes Ziel kann daher die Unterstützung einer unabhängigen Lebensführung im Alter genannt werden, um möglichst lange zu Hause leben zu können. Das „Zuhause bleiben“ zu fördern, meint z. B. soziale, geistige und körperliche Aktivität anzuregen, den Tagesablauf zu erleichtern sowie stete psychosoziale Unterstützung zu leisten. 

Technische Produkte und vernetzte Systeme helfen dabei, Selbstbestimmtheit bzw. die Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung im häuslichen Alltag zu sichern. Eine intelligente Vernetzung der Wohnung (Stichwort: Smart Living) ist im Alter gerade deshalb praktisch. 
Die Wohnung bzw. das Haus mitsamt dem nahen Umfeld ist der Ort, an dem sich das Leben im Alter zu großen Teilen abspielt. Die Wohnung wird damit oft zum Dreh- und Angelpunkt im Alter. Entsprechend stark ist die emotionale Bindung an die eigenen vier Wände. AAL-Unterstützungssysteme kommen immer öfter zum Einsatz, um diesem Umstand gerecht zu werden.

Eine emotionale Bindung an das eigene Zuhause muss dabei nicht zwangsläufig Rückzug oder Isolation bedeuten. Wer den Wunsch äußerst, möglichst lange zu Hause bleiben zu können, hat dabei nicht selten auch das gewohnte Umfeld und die lang gepflegten Kontakte im Hinterkopf. Wer seine Wohnung technisch optimiert und folglich länger dort leben kann, ist mit größerer Wahrscheinlichkeit länger Teil seines lokalen Netzwerkes: eine Ressource, die nicht vernachlässigt werden sollte. 


 

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Foto: © Ingo Bartussek/ Fotolia
Video: Youtube/ Universität Innsbruck - Titel: "Alternde Gesellschaft: Smartes Wohnen für Senioren", hochgeladen am: 15.09.2015