Was bedeutet Pflegebedürftigkeit?



Der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff

Pflegebedürftigkeit ist in Deutschland ein definierter Begriff der Pflegeversicherung, dem sogenannten Sozialgesetzbuch (SGB) XI. Hierin wurde bereits 1994 festgelegt, welcher zeitliche und qualitative Hilfebedarf vorliegen muss, damit eine Pflegestufe und somit Leistung aus der Pflegeversicherung gewährt wird.

Es hängt von den individuellen Lebensumständen eines (älteren) Menschen ab, wann er für sich selbst oder sein familiäres Umfeld tatsächlich Veränderungs- oder Hilfebedarf sieht. So gibt es altersbedingte Einschränkungen, zum Beispiel Schwerhörigkeit oder schwindende Sehkraft, das Gefühl größerer Unsicherheit, Einsamkeit oder einfach der Mangel an sozialen Kontakten und anregenden Erlebnissen, die keinesfalls zu einer Pflegestufe berechtigen, aber dennoch die Lebensqualität stark einschränken. Ein gutes Beispiel dafür ist der Verlust der Mobilität. Spätestens, wenn es nicht mehr möglich ist, selbst Auto zu fahren, sind Menschen auf gelegentliche Hilfe und Unterstützung angewiesen. Verstärkt ist dies in ländlichen Regionen der Fall, wenn die notwendige Infrastruktur (wie Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten) nicht direkt vor der Haustür bereitsteht.

Für die subjektive Lebensqualität ist es entscheidend, wo und wie der ältere Mensch bisher gelebt hat: Ob in einer ländlichen Umgebung oder in der Stadt, ob in einer lebendigen Nachbarschaft oder nicht. Von ebenso hoher Bedeutung ist, ob er auf ein tragfähiges Netzwerk an Freunden und/oder Familie zurückgreifen kann und will. Darüber hinaus variieren die Möglichkeiten und die Bereitschaft einer jeden Person, wenn es darum geht, sich mit den altersbedingten Veränderungen zu arrangieren. Für alleinlebende Senioren sind akute oder chronische Einschränkungen in der Regel schlechter zu kompensieren als für Paare. Bislang waren häufig Ehefrauen die Hauptträger dieser Unterstützungsleistungen, die lange vor einer gesetzlichen Pflegestufe anfallen. Aktive und entschlussfreudige Menschen werden auch mit ihren "Altersproblemen" lösungsorientierter umgehen können, als passive Personen, die ihr Leben lang von anderen abhängig waren.

Die Veränderungen betreffen in jedem Fall, wenn auch z. T. indirekt, die ganze Familie und es ist ein großer Vorteil, wenn alle Mitglieder einer Familie sowie wichtige Personen des näheren Umkreises Vereinbarungen für den Fall der Pflegebedürftigkeit treffen. Der Abschluss einer privaten Zusatzpflegeversicherung ist sicher ein richtiger Schritt, löst aber das Problem nicht, wo und wie ein pflegebedürftiger Mensch höheren Alters letztlich leben und gepflegt werden möchte. Dennoch sind auch die Kosten der Pflege einer der wesentlichen Faktoren, die frühzeitig realistisch analysiert werden sollten.

So ist der Standardfall, leider, trotz aller Informations- und Beratungsangebote, dass die Beschäftigung mit den heute vielfältigen Möglichkeiten des Lebens im Alter erst nach einem akuten Vorfall (z. B. einem Sturz, einer schweren Erkrankung oder oft auch nach dem Tod eines nahen Angehörigen) beginnt. Weil gleichzeitig die familiären Netzwerke immer brüchiger und auch langjährige, gefestigte Nachbarschaftsbeziehungen immer seltener werden, versuchen öffentliche Institutionen, an dieser Stelle so viel Unterstützung wie möglich anzubieten. So haben wir heute eine Vielzahl an verschiedenen Betreuungs- und Pflegeangeboten zur Auswahl, wenn ein völlig eigenständiges Leben im Alter nicht mehr gewünscht oder möglich ist.
 

Pflegebedürftigkeit - Voraussetzungen für eine Pflegestufe

Die Pflegeversicherung definiert, dass für das Vorliegen einer Pflegestufe (1) ein gewisser zeitlicher Grundbedarf sowohl bei der Hilfe im Alltag, der sogenannten Grundpflege, als auch (2) bei der Hilfe im Haushalt, der sogenannten hauswirtschaftlichen Versorgung, vorliegen muss. Diese Hilfe muss im Durchschnitt der Woche einen definierten Stundenumfang pro Tag erforderlich sein und mindestens für ein halbes Jahr benötigt werden.

Zur Grundpflege gehören:

  • Hilfe bei der Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, Kämmen, Rasieren, Zähne putzen, Toilettengänge
  • Hilfe beim Essen
  • Hilfe beim Leben in der Wohnung: beim Aufstehen und Zubettgehen, beim Anziehen und Ausziehen, beim Stehen, Gehen, Treppen steigen, Arztbesuche etc.

Zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehören:

  • Einkaufen, Kochen, Abwaschen
  • Aufräumen, Putzen
  • Wechseln und Waschen von Wäsche und Kleidung
  • Heizen

(Vergleiche dazu: §14 SGB XI "Begriff der Pflegebedürftigkeit")


Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff

Da das bisherige Verständnis von Pflegebedürftigkeit auf die vielerorts kritisierte Minutenpflege hinauslief, wurde im Rahmen der Pflegerform ein neuer, ressourcenorientierter Pflegebedürftigkeitsbegriff definiert.
Etabliert wurde dieser im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes II, welches seit dem 01.01.2016 gilt und zum 01.01.2017 Wirkung erlangt. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigt die individuellen Situationen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen stärker. Er stellt hinsichtlich der Begutachtungen zum Zwecke der Zuweisung zu einem Pflegegrad die Basis für einen neuen Umgang mit körperlichen und geistigen Einschränkungen dar.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe dazu: "20 Jahre nach ihrer Einführung stellen wir die Soziale Pflegeversicherung jetzt auf eine neue Grundlage. Damit erhalten erstmals alle Pflegebedürftigen einen gleichberechtigten Zugang zu Pflegeleistungen – unabhängig davon, ob sie an körperlichen Beschwerden oder an einer Demenz erkrankt sind. [...]" - Das ist ein deutlicher Schritt, weg von der bisherigen Defizitorientierung, die bis dato zentral für das Beurteilen von Personen und deren Zuordnung zu entsprechenden Pflegestufen war. - Bei Interesse können Sie sich z. B. auf den Seiten des GKV-Spitzenverbandes vertiefend zu dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff belesen: Hier.

Sehen Sie hier: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zum Start der Erprobungsphase des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs:


 

Besucher dieser Seite interessierten sich auch für folgende Themen:

Pflege-Netzwerke & Betreuungsgruppen 

Beratung & Information zur Pflege

Pflegestützpunkte und Beschwerdestellen



1. Foto: © Marco2811/Fotolia
2. Foto: © Gina Sanders/Fotolia

Video: Youtube/ "Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff - Start der Erprobungsphase" by BMGesundheit (veröffentlicht am 08.04.2014)